Verdrängung durch Aufwertung
Wir leben in einer Stadt, die von Veränderung geprägt ist. Von steigenden Mieten und höheren Preisen für öffentliche Dienstleistungen und Güter, die kaum noch jemand bezahlen kann. Luxusbauten und Wohnraum, den sich nur die Reichen leisten können, verbreiten sich im gesamten Stadtgebiet, besonders in innenstadtnahen Vierteln. Die Gebäude werden schicker, neuer und vor allem – teurer. Parks und schöne Grünanlagen müssen für prunkvolle Eigentumswohnungen weichen, billige und gemütliche Kneipen werden durch schicke Nobelrestaurants und hochpreisige Boutiquen ersetzt, das Bier kostet auf einmal 3,50€ statt 1,50€. Bioläden rücken an die Stelle, wo vorher Dönerbuden waren. Wer sich die schicken Appartements und den neuen Lebensstil nicht leisten kann, muss in die Randbezirke oder in andere Städte ziehen. Unkommerzielle Räume, die sich nicht von Immobilieninvestor*innen verwerten lassen, werden verdrängt und durch Einrichtungen ersetzt, die mehr Profit einbringen.
Der Profit wandert in die Taschen derjenigen, die ohnehin schon über viel Kapital verfügen und dieses in den Bau oder die aufwändige Sanierung von Häusern stecken, um daraus durch erhöhte Mieten noch mehr Kohle zu gewinnen, die letztlich die aufbringen müssen, die dazu gezwungen sind, die Miete zu bezahlen. Für große Konzerne und Spekulanten stellt unsere Stadt nichts anderes dar als ein großes Investitionsprojekt, aus dem sie maximal viel Kapital herausholen wollen. Wer darunter leidet, sind wir, die normalen Menschen, die in Leipzig leben und nicht genug Geld haben, um sich eine überteuerte Wohnung leisten zu können, und für die Leipzig mehr ist als eine bloße Rechnung der Profitmaximierung. Unsere Existenz wird durch einen ansteigenden Mietspiegel und die Umgestaltung des städtischen Raums bedroht – mal abgesehen von monatelangen nervtötenden Bauarbeiten. Das wird oft erst dann ersichtlich, wenn das Gehalt nicht mehr ausreicht, um die nächste Mietsteigerung noch zu bezahlen. Wenn der Vermieter den Vertrag nicht verlängern will, sondern lieber neue Mieter*innen mit mehr Geld und besseren Karrierechancen einziehen lässt. Wer sich dagegen wehrt, bekommt oft nur größere Probleme, da es juristisch meist schwer ist, gegen Hausverwaltungen und Eigentümer*innen anzugehen. Besonders, wenn man alleine ist.
Stadtentwicklung als sozialer Konflikt
Aus diesen Entwicklungen, die in Leipzig besonders drastisch und schnell verlaufen, ergibt sich für uns eine klare Konfliktlage. Ein Konflikt zwischen den wenigen auf der einen Seite, die Geld und Immobilien besitzen, die die Möglichkeit haben, diese zu sanieren, zu vermieten oder zu verkaufen, die aufgrund ihres Reichtums auch politische Einflussmöglichkeiten, etwa auf Entscheidungen der Stadtverwaltung haben, die private Sicherheitsdienste engagieren, um ihr erbeutetes Eigentum zu schützen und sich auf die Polizei verlassen können, welche stets die Interessen der Reichen und Herrschenden vertritt. Auf der anderen Seite stehen wir und ihr, an die sich diese Seite richtet. All diejenigen, die über kein Eigentum an Immobilien oder großen Firmen verfügen, die sich Monat für Monat fragen, wie sie die Miete und den teurer werdenden Lebensstandard bezahlen sollen. Die Probleme mit ihrer Hausverwaltung oder ihren Vermietern haben, die keine schicke Karre vor der Haustür geparkt haben, mit der sie jeden Morgen ins Büro oder zu irgendwelchen Meetings fahren. Aber auch die ältere Frau von nebenan, die sich nach 40 Jahren in derselben Wohnung plötzlich die Miete nicht mehr leisten kann. Es gibt viele derartige Schicksale, und es werden immer mehr.
Kurz gesagt: Wir betrachten die momentane Stadtentwicklung in erster Linie als einen sozialen Konflikt zwischen jenen, die von ihr profitieren, mehr und mehr Geld aus ihr schöpfen und sie aktiv vorantreiben, und jenen, die darunter leiden und von ihr verdrängt werden. Für uns bedeutet sie v.a. luxuriöse und unnötige Aufwertung, die Zerstörung von uns am Herzen liegenden Orten, Verdrängung aus Gegenden, in denen wir zuhause sind und uns wohl fühlen, wo es uns aber zunehmend schwerfällt, die Lebenshaltungskosten zu bewältigen, und nicht zuletzt auch demütigende Überwachung und Kontrolle des öffentlichen Raums – denn prunkvolles Eigentum will bewacht werden. In diesem Konflikt nehmen die Institutionen der Stadtverwaltung und Regierung eine uns feindliche Rolle ein. Denn sie unterstützen in ihren Entscheidungen und Handlungen, ihren bürokratischen Prozeduren, Gesetzen, Auflagen und Verboten fast ausschließlich die Interessen der Reichen in dieser Stadt. Oft wird es uns als ein Vorteil und Privileg verkauft, dass Leipzig „boomt“ und anscheinend die momentan am stärksten anwachsende deutsche Großstadt ist. Wenn wir uns Werbetexte und Dossiers von Immobilienfirmen und Architekturbüos für das ach so alternative, bunte und nette „Hypezig“ durchlesen, überkommt uns eine Mischung aus Übelkeit und Wut. Die Attraktivität und Vielfältigkeit der Stadt wird angepriesen, um wohlhabendere Leute in die Stadt zu locken und die Verwertungsprozesse des Kapitals zu beschleunigen. Der Ausverkauf der Stadt wird vorangetrieben und nach und nach wird die Bevölkerung ganzer Stadtviertel ausgetauscht.
Was können wir tun?
Wir sehen die Notwendigkeit, etwas gegen diese großflächigen und gewaltvollen Entwicklungen zu unternehmen. Doch oft geben uns der Anblick von neuen Luxusbauten, die Nachricht, dass schon wieder ein kleiner Laden oder eine nette Kneipe von nebenan schließen musste, die ständig ansteigenden eigenen Mietkosten oder die heuchlerischen Interviews und Aussagen von Investoren und Politiker*innen in der Öffentlichkeit ein betäubendes Gefühl von Ohnmacht. Was können wir schon dagegen tun? Nicht viel, scheint die naheliegende Antwort. Denn wir sind meistens alleine oder sehr wenige Menschen, die bereit sind, für einander einzustehen. Die Entwicklung dagegen, mit der wir es zu tun haben, ist eine sehr machtvolle, die von riesigen Unternehmen vorangetrieben wird, die mit ihrem Geld und ihren Einflussmöglichkeiten so ziemlich alles bewirken können. Wir aber haben in der Regel kaum die Gelegenheit dazu, unsere Wünsche und Interessen geltend zu machen oder zu verwirklichen, die Politik interessiert sich nicht für unsere Meinungen und unsere Lebenslage. Es gibt viele, die vorgeben, uns zu repräsentieren, aber niemanden, der es wirklich tut.
Solidarität, Selbstorganisierung und Angriff
Was wir wollen, ist dieser systematischen und kontinuierlichen Zerstörung von alledem, was Leipzig für uns ausmacht, etwas entgegensetzen. Dafür müssen wir uns organisieren und Verbindungen des solidarischen Miteinanders aufbauen, denn alleine sind wir chancenlos gegen die Stadt der Reichen. Das können Mieter*innenkollektive oder Stadtteilläden sein, Sportvereine, Hausprojekte und Besetzungen, politische Gruppen oder Stammtische und Kneipenrunden, Demonstrationen, Vesammlungen und Kiezfeste. Es können all jene sozialen Zusammenhänge sein, die uns die Erfahrung von Solidarität vermitteln. Gerade in einer Welt, in der Wettbewerb und Vereinzelung immer mehr an Einfluss gewinnen und viele scheinbar nur noch auf ihren individuellen Vorteil und ihre persönlichen Karriereaussichten bedacht zu sein scheinen, ist das von Bedeutung. Die Probleme, mit denen jeder und jede von uns im Alltag konfrontiert ist, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft, Alter oder Aussehen, sind meistens keine individuellen, sondern gesellschaftliche. Und sie hängen meist mit der kapitalistischen Ordnung, nach der unser soziales Miteinander organisiert ist, zusammen. Als solche sollten wir sie verstehen und bekämpfen.
Doch es reicht an dem Punkt, an dem wir uns befinden, nicht mehr aus, füreinander da zu sein und sich um sich selbst zu kümmern. Der Wohnungsmarkt und die soziale Entwicklung im Allgemeinen haben eine derartig aggressive Entwicklung eingeschlagen, dass wir uns gezwungen sehen zurückzuschlagen und selbst zum Angriff überzugehen. Wir wollen diejenigen, die in unseren Augen verantwortlich sind für den Ausverkauf der Stadt und die menschenverachtende Politik, die auf diesem und vielen anderen Feldern betrieben wird, zur Rechenschaft ziehen. Wir wollen sie sichtbar machen und ihnen verdeutlichen, dass wir ihre Demütigungen und Angriffe auf unsere Vorstellungen von einem guten Leben nicht länger hinnehmen können.
Wozu diese Seite?
Aus all jenen Überlegungen ist diese Seite entstanden.
Sie soll ein Instrument unseres Widerstandes sein, eine Möglichkeit,
– über aktuelle Entwicklungen der Verdrängung und Umgestaltung der Stadt zu informieren.
– unserem Unmut und Protest eine öffentliche Plattform zu geben.
– uns gegenseitig Zeichen der Solidarität zu senden.
– Verantwortliche und Schuldige der gegenwärtigen und sich in Zukunft noch verstärkenden Verdrängungsprozesse sichtbar und angreifbar zu machen, indem ihre Namen, Adressen und Machenschaften hier veröffentlicht werden.
– mit verschiedenen Aktions- und Handlungsformen Aufmerksamkeit auf das Thema Gentrifizierung zu lenken.
– zu Solidarität und Hilfe aufzurufen bei eigenen Problemen, etwa wenn eine Räumung, Sanierung oder Entmietung ansteht.
– potentielle Investor*innen dazu zu bringen, es sich zweimal zu überlegen, ob sie uns mit ihren Investitionen in Leipzig verdrängen wollen, weil sie dort mit Widerstand zu rechnen haben.
Dabei wollen wir nicht eine bestimmte Aktionsform bevorzugen oder in einer Art Hierarchie über andere stellen. Wir halten jede Form des Protests und Widerstands für angebracht, sofern sie selbstorganisiert und nicht darauf ausgelegt ist, den Interessen der Herrschenden und Ausbeutenden zu dienen. Wir distanzieren uns von nichts und beanspruchen keinerlei Deutungshoheit über die Geschehnisse, die auf dieser Seite dokumentiert werden. Jedoch maßen wir uns an, die Seite zu verwalten, um zu verhindern, dass sie von Polizei und Nazis genutzt wird, um ihre menschenfeindliche Propaganda in die Welt zu setzen oder das Projekt der Leiziger Liste zu zerstören. Sie soll ein Projekt sein, um widerständige Momente der Kämpfe gegen Gentrifizierung und für eine Stadt von unten zu dokumentieren und zu verallgemeinern. Sie soll eine Bedrohung darstellen für alle jene, deren Namen und Adressen hier aufgelistet sein werden, weil sie anderen Menschen das Leben durch ihre Profitlogik zur Hölle machen. Und sie soll letztlich eine Plattform des solidarischen Austauschs für uns alle sein, die wir bereit sind, den Kampf um die Stadt einzugehen, um das zu verteidigen, was uns wichtig ist, und das anzugreifen, was uns bedroht.
Wenn ihr Recherchematerial habt, das ihr öffentlich machen wollt, sendet es uns zu. Wenn euch Immobilien- und Baufirmen, Investor*innen, Stadtplanungs- und Architekturbüros, Politiker*innen oder Unternehmen bekannt sind, die ihr als maßgebliche Faktoren der Gentrifizierungsprozesse in Leipzig anseht, dann sendet uns ihre Namen und Adressen – wir werden sie veröffentlichen. Wenn ihr selbst oder Bekannte von euch von Verdrängung betroffen oder bedroht seid und darunter leidet, wenn ihr eure Probleme verbunden mit einem Aufruf zu Hilfe und Solidarität teilen wollt, schreibt uns. Wenn ihr von Formen des Widerstands und der Organisierung gegen die Stadt der Reichen wisst, die ihr für sinnvoll und zielführend haltet, dann schreibt uns, damit wir es der Öffentlichkeit zugänglich machen können.
Wir dürfen uns nicht weiter verdrängen lassen!
Gegen die Stadt der Reichen und für solidarische Kieze!
Die Häuser denen, die drin wohnen!